Am Sonntag habe ich beim größten Laufevent Vietnams – dem Ho Chi Minh City Marathon – mal wieder die Füße in die Hand genommen. Und diesmal genoss ich sogar doppelte Gesellschaft: nicht nur Dominik – der uns gerade auf unserer Reise quer durch Vietnam begleitet – sondern auch Eva überquerte im Laufschritt die Start- und Ziellinie. Offensichtlich ist meine Lauf-Begeisterung erneut übergesprungen!

Trotz alldem war dies der mit Abstand nervenaufreibendste Wettkampf meines Lebens. Zwar bin ich mittlerweile in der Lage, über die einzelnen Situationen zu lachen, ein Kopfschütteln kann ich mir beim Gedanken daran dennoch nicht verkneifen!

Wettkampf-Vorfreude!

Nach Südamerika, Mittelamerika und Australien, stand mit Asien nun also Kontinent Nummer vier am Programm. Lasst mich nicht vergessen, dass ich bei Zeiten auch noch bei einem Wettkampf in Afrika und in der Antarktis teilnehmen muss – dann hätte ich lauftechnisch alle sieben Kontinente durch!

Der achtwöchige Trainingsplan für den Halbmarathon in Ho Chi Minh City startete während unserer Zeit in Indonesien und zog sich ebenso durch die Länder Kambodscha und Laos. In vielen Einheiten sammelte ich Kilometer um Kilometer, um meine im Oktober in Melbourne aufgestellte persönliche Bestzeit zu knacken.

Ho Chi Minh City

Unerlässlich für eine tolle Wettkampfzeit ist eine möglichst flache Streckenführung. Da die Website des Veranstalters jedoch keinerlei Streckenprofil offenbarte, habe ich im Vorfeld die Organisatoren angeschrieben. Die Antwort kam prompt: „sehr flach, nur ein kleiner Anstieg auf der Phú Mỹ Bridge“. Diese Antwort hob die freudige Erwartungshaltung auf die nächste Stufe und sofort wurden unsere Daten in das Anmeldeformular eingetragen.

Early Bird: Tagwache um 01:45!

Aufgrund der in Asien üblichen Temperaturen erfolgte der Start bereits um 4:40 morgens. Das bedeutete Tagwache bereits um 01:45 mit anschließendem Frühstück.

Trotz der frühen Uhrzeit herrschten bereits 27 Grad Celsius und satte 93% Luftfeuchtigkeit, was zur Folge hatte, dass ich bereits nach dem Einlaufen klatschnass war.

Asiaten laufen anders!

Kurz bevor der Startschuss die Stille der Nacht durchdrang reihte ich mich relativ weit vorne in der Startaufstellung ein. Vor mir waren nur ca. 5 Reihen – schätzungsweise an die 100 Läufer – wovon jedoch auf den ersten Blick klar war, dass mindestens die Hälfte davon hier nichts verloren hatte.

Und ich sollte rechtbehalten! Nicht nur, dass viele dieser an maßloser Selbstüberschätzung leidender „Spitzenläufer“ viel zu langsam starteten und dadurch die hinteren Läufer behinderten, sondern blieben einige dieser Spezialisten bereits 300 Meter nach dem Überqueren der Startlinie, mitten auf der Strecke stehen, um Selfies zu machen – was zu dutzenden „Auflauf“-Unfällen geführt hat.

Auf den ersten Kilometern schrien zudem einige wie am Spieß herum, mussten mit jedem (!) am Rand stehenden Zuschauer mit einem High-5 abklatschen oder blieben vor Fotografen stehen, um sich mit einem „Peace-Zeichen“ ablichten zu lassen.

Ich war von so viel Egoismus derart verblüfft, dass ich die ersten Kilometer gar nicht richtig wahrgenommen habe. Wie durch ein Wunder schaffte ich auf den ersten 10-Kilometern jedoch relativ konstante Kilometer-Splits: 4:50, 4:51, 4:50, 4:53, 4:46, 4:49, 4:47, 4:50, 4:51 und 4:46.

„Kleiner Anstieg auf der Phú Mỹ Bridge“

Wie beschrieben lief bis inklusive Kilometer 10 alles perfekt am Schnürchen und langsam aber stetig stellte sich bei mir bereits die Freude auf eine neue persönliche Bestzeit ein – zumindest bis zu dem Zeitpunkt als sich die Phú Mỹ Bridge vor mir regelrecht auftürmte.

Was die Veranstalter als „kleinen Anstieg“ bezeichneten, waren plötzlich stolze 70 Höhenmeter auf gerade einmal 2 Kilometern Länge. Und JA, 70 Höhenmeter sind unheimlich viel – vor allem, wenn man zuvor auf der Geraden schon relativ am Limit gelaufen ist und das Tempo beibehalten möchte.

Schlimmer geht immer!

Kaum auf der Rampe, die auf die Brücke hinaufführt angekommen, offenbarte sich jedoch erst das eigentliche Problem: die Straße wurde nicht abgesperrt. Anstelle dessen wurden sämtliche Läufer – es waren einige Tausend – auf einen gerade einmal etwa 3 Meter breiten Fahrradweg über die 2 Kilometer lange Brücke geleitet.

Die 10-Kilometer-Läufer wurden – bedingt durch eine vorangegangene verkürzte Streckenführung – ebenso über diese Brücke geschickt. Obwohl es sich für diese Teilnehmer erst um Kilometer drei handelte, waren viele durch den Anstieg dermaßen am Ende, dass die überwiegende Mehrheit ging.

Hinzukam, dass stellenweise der gesamte 3 Meter breite Fahrradweg einige Zentimeter unter Wasser stand. Die bereits erschöpften Läufer, äh Fußgänger, versuchten möglichst vorsichtig die Lacken zu durchqueren – schließlich könnte ja Wasser in den Schuh überschwappen.

Sicherlich könnt ihr euch vorstellen, welch Konfliktpotential sich auftut, wenn Läufer, die eine Bestzeit im Kopf haben auf wasserscheue „Watschelenten“ treffen, die einem den Weg versperren, damit die Schuhe möglichst trocken bleiben.

Der Höhepunkt!

Der wortwörtliche Höhepunkt sollte jedoch erst noch kommen! Am höchsten Punkt der Brücke bauten die Veranstalter nämlich ein Podest auf, das es zu erklimmen galt. Dieses Podest stellte den Umkehrpunkt dar. Platz war hier wieder Mangelware, denn warum auch immer mussten hier wieder zahlreiche Selfies geknipst werden.

Anschließend ging es zurück! Richtig, auf genau dem selben 3 Meter breiten Fahrradweg, auf dem einem nun noch mehr wasserscheue „Watschelenten“ entgegenströmten.

Am besten stellt man sich diese Situation so vor, als würde man auf der Mariahilferstraße am letzten Einkaufssamstag vor Weihnachten eine Bestzeit laufen wollen und parallel dazu ein 15-stöckiges Gebäude erklimmen müssen.

Hölle, Hölle!

Es war die Hölle! Nicht vorrangig, weil nichts aus der persönlichen Bestzeit wurde, sondern weil es einfach keinen Spaß gemacht hat: noch nie war es so nervenaufreibend, noch nie kam ich in den Genuss so vieler Ellbogen. Selfie-Sucht, wasserscheue Fußgänger mit Startnummer auf der Brust und der unfähigste Veranstalter den die Welt je gesehen hat!

Aber hey, Strich darunter – andere Länder, andere Sitten! Einer der größten Vorteile am Reisen ist, dass man viele Gegebenheiten und Gepflogenheiten von zu Hause erst so richtig zu schätzen lernt! Und alldiejenigen, die jedes Jahr aufs Neue über die Unfähigkeit der Organisatoren des Vienna City Marathon schimpfen, sollten einmal beim Ho Chi Minh City (Halb-)Marathon an den Start gehen – Schocktherapie garantiert!

Der Vollständigkeit halber: Ins Ziel bin ich bei 1:54:13, das entspricht einem durchschnittlichen Pace von 5:25 min/km.

Richtig stolz bin ich auf Eva, die ihr 10-Kilometer-Wettkampfdebüt trotz asiatischer Umstände in einer tollen Zeit von 1:02:31 bestritten hat und auch Dominik hat sich wacker geschlagen und den Halbmarathon in 2:28:18 absolviert.